Installation » “Der Weiße Raum”

Der Weiße Raum
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Der Weiße Raum
Der Weiße Raum
Der Weiße Raum

Der Weiße Raum - Teil 1

Chris Hinze Ohne Titel – Ein Raum in Weiss / Stephan Klee; Berlin, den 22.01.2018

Die Kanzel – Konstrukt für missionarischen Eifer – und der Altar – Plattform des Vollzugs vor Gott – bilden zwei wesentliche Pole in der räumlichen Inszenierung des Frontal-Gottesdienstes in Kirchen weltweit. Auch in dem bis ins Detail durchdrungenen Werk Ohne Titel – Ein Raum in Weiss, umgesetzt in situ im Kunstraum Potsdam, machen diese beiden elementaren Insignien des Christentums die Schwerkraft des Raumgefüges aus. Die Setzung in der Ausstellung wartet mit zwei eleganten Kanzeln auf, es liegt also nahe sie spontan mit zwei Sprechern zu besetzen, die sich dann wunderbar verstärken oder wiederlegen können, das Augenmerk liegt plötzlich auf der Interaktion auf Augenhöhe und nicht mehr ausschließlich auf der Predigt des hohen Hirten für seine niederen Schafe. Also raus mit der Religion aus der Institution Kirche und rein mit der Religion die Institutionen Zeitgenössischer Kunst? – „...Ist die Kunst...“ in diesem Falle – ganz im Sinne Gerhard Richters – „...als verändertes Mittel, einzige Vollzieherin der Religion, das heißt Religion selbst“ 1 ?

Doch in dieser Installation wird offensichtlich noch mehr verhandelt als der Ortwechsel für die Hauptagentur des Jenseitigen, denn das klerikale Möbilar ist hier nicht original. Stattdessen ist es buchstäbliche rein: Es ist glatt und weiss, komplett nachgebaut, und es wird ergänzt von einer Wand-Staffage weiss geschliffener, leerer Gläser des Lebens und einer Wendeltreppe nach oben, die von dem raumgreifenden Kegel eines weissen, gerafften Vorhanges verhüllt wird. Fünf identische, komplett weisse Kataloge liegen auf dem Altar. Welche Religion wird hier eigentlich zelebriert? Was könnte die unbefleckte Leere füllen?

Der Weiße Raum - Teil 1

Chris Hinze Ohne Titel – Ein Raum in Weiss / Stephan Klee; Berlin, den 22.01.2018

Die Kanzel – Konstrukt für missionarischen Eifer – und der Altar – Plattform des Vollzugs vor Gott – bilden zwei wesentliche Pole in der räumlichen Inszenierung des Frontal-Gottesdienstes in Kirchen weltweit. Auch in dem bis ins Detail durchdrungenen Werk Ohne Titel – Ein Raum in Weiss, umgesetzt in situ im Kunstraum Potsdam, machen diese beiden elementaren Insignien des Christentums die Schwerkraft des Raumgefüges aus. Die Setzung in der Ausstellung wartet mit zwei eleganten Kanzeln auf, es liegt also nahe sie spontan mit zwei Sprechern zu besetzen, die sich dann wunderbar verstärken oder wiederlegen können, das Augenmerk liegt plötzlich auf der Interaktion auf Augenhöhe und nicht mehr ausschließlich auf der Predigt des hohen Hirten für seine niederen Schafe. Also raus mit der Religion aus der Institution Kirche und rein mit der Religion die Institutionen Zeitgenössischer Kunst? – „...Ist die Kunst...“ in diesem Falle – ganz im Sinne Gerhard Richters – „...als verändertes Mittel, einzige Vollzieherin der Religion, das heißt Religion selbst“ 1 ?

Doch in dieser Installation wird offensichtlich noch mehr verhandelt als der Ortwechsel für die Hauptagentur des Jenseitigen, denn das klerikale Möbilar ist hier nicht original. Stattdessen ist es buchstäbliche rein: Es ist glatt und weiss, komplett nachgebaut, und es wird ergänzt von einer Wand-Staffage weiss geschliffener, leerer Gläser des Lebens und einer Wendeltreppe nach oben, die von dem raumgreifenden Kegel eines weissen, gerafften Vorhanges verhüllt wird. Fünf identische, komplett weisse Kataloge liegen auf dem Altar. Welche Religion wird hier eigentlich zelebriert? Was könnte die unbefleckte Leere füllen?

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1 Gerhard Richter. „Text 1961 bis 2007“ Schriften, Interviews, Briefe. – Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln, 2008, S. 34/35
Der Weiße Raum - Teil 1

Der Weiße Raum - Teil 2

Der Boden schimmert hellgrau; Wände, Decke, Objekte, alle sind ganz in Weiss – es wirkt, als hätte eine höhere Macht an diesem speziellen Ort die Farbe aus der Materie gesaugt. Doch als Lichtfarbe ist Weiss ist das faktische Gegenteil von Entzug, von Substrat – denn nach den Gesetzen der Optik entsteht das reine Weiss durch die Überlagerung sämtlicher Lichfarben – so ist die Weissheit des Daseins die absolute Addition – genau die Fülle, die alles beinhaltet. Der Gegenentwurf erwächst aus der absoluten Sättigung aller materiellen Farben: Werden alle Töne auf der Palette gemischt, ensteht ein sattes Schwarz, im Quadrat die Wappen-Ikone der Suprematisten. Hier führt die totale Sättigung zur Überfülle, zum Ende des Austausches und damit zum Tod. Im Sinne der Suprematisten war das proklamierte Ende alles Gestrigen die ideale Blaupause um radikal neu zu beginnen. Weiss und Schwarz treffen sich an dieser physikalischen und kulturhistorischen Schnittstelle.

In Ohne Titel – Ein Raum in Weiss werden eher auf der weissen Seite des Lebens eine Reihe von künstlerischen Interventionen und Diskursen fortgeführt, die sich um räumlich gedachte und empfundene Leere bzw. Fülle des Galerieraumes drehen und spätestens in den 1969ern sehr virulent wurden. Angefangen mit Armans „Le Plein“ (frz.: Die Fülle) 1960, über Yves Kleins „Le Vide“ (frz.: Die Leere) 1962, Andy Warhols „Silver Pillows“ (eng.: Silberne Kissen) 1966 und Daniel Burens „Galleria Appolinaire“1968, bis hin zu Les Levine „White Sight“ (eng.: Weisse Sicht) 1969, konstituieren diese Installationen anschaulich die tiefe Ausseindersetzung mit der Wahrnehmung und Funktion des reinen Galerieraumes in der westlichen Kultur.

Der Weiße Raum - Teil 2

Der Boden schimmert hellgrau; Wände, Decke, Objekte, alle sind ganz in Weiss – es wirkt, als hätte eine höhere Macht an diesem speziellen Ort die Farbe aus der Materie gesaugt. Doch als Lichtfarbe ist Weiss ist das faktische Gegenteil von Entzug, von Substrat – denn nach den Gesetzen der Optik entsteht das reine Weiss durch die Überlagerung sämtlicher Lichfarben – so ist die Weissheit des Daseins die absolute Addition – genau die Fülle, die alles beinhaltet. Der Gegenentwurf erwächst aus der absoluten Sättigung aller materiellen Farben: Werden alle Töne auf der Palette gemischt, ensteht ein sattes Schwarz, im Quadrat die Wappen-Ikone der Suprematisten. Hier führt die totale Sättigung zur Überfülle, zum Ende des Austausches und damit zum Tod. Im Sinne der Suprematisten war das proklamierte Ende alles Gestrigen die ideale Blaupause um radikal neu zu beginnen. Weiss und Schwarz treffen sich an dieser physikalischen und kulturhistorischen Schnittstelle.

In Ohne Titel – Ein Raum in Weiss werden eher auf der weissen Seite des Lebens eine Reihe von künstlerischen Interventionen und Diskursen fortgeführt, die sich um räumlich gedachte und empfundene Leere bzw. Fülle des Galerieraumes drehen und spätestens in den 1969ern sehr virulent wurden. Angefangen mit Armans „Le Plein“ (frz.: Die Fülle) 1960, über Yves Kleins „Le Vide“ (frz.: Die Leere) 1962, Andy Warhols „Silver Pillows“ (eng.: Silberne Kissen) 1966 und Daniel Burens „Galleria Appolinaire“1968, bis hin zu Les Levine „White Sight“ (eng.: Weisse Sicht) 1969, konstituieren diese Installationen anschaulich die tiefe Ausseindersetzung mit der Wahrnehmung und Funktion des reinen Galerieraumes in der westlichen Kultur.
Der weiße Raum - Teil 2

Der Weiße Raum - Teil 3

Chris Hinze fügt seinem Raum in Weiss allerdings unter anderem zwei weisse Kanzeln, einen massiven weissen Altar mit Altarbild und weisse Kataloge am angestammten Ort der Heiligen Schrift hinzu. In ihrer Machart und Farbigkeit können sie als symbolische Leerstellen für Ideen von Religiösität interpretiert werden, die es zu füllen gilt. Der Künstler bedient sich sehr bewusst der Ikonographie des Christentums. Damit lenkt er die Denkrichtung weiter – von der architektonischen Wirkungsweise der Weissen Zelle im Kunstbetrieb der sechziger Jahre hin zu einem zeitgemäßen Aufwurf diverser Gretchenfragen an jeden einzelnen untern den Besuchern oder an ihr gemeinsames Kollektiv, und zwar direkt im Raum für aktuelle Kunst.

Was bedeutet dieser nur scheinbare neutrale Transit-Raum von Chris Hinze für die Rolle der Religion in jedem einzelnen von uns und ihre generelle Verortung in unserer Kultur? Was kann die entleerten, aber existenziellen Platzhalter der Kirche ebendso wie die Gläser des Lebens wieder mit neuem Leben füllen? Kann die Praxis im buchstäblichen White Cube – also seit der Moderne dem „ideellen Raum“ für „Kunst in Potenz“ – tatsächlich eine vitale transzendente und kollektive Verortung der grundsätzlichen spirituellen Fragestelllungen bieten? Hier ist die Tabula jedes Mal Rasa, der absolute Nullpunkt regelmäßig bereitet. Kann nun der rohe Neuanfang, die reine Genese endlos durch die wechselnen Künstler*innen – gleich Schamanen*innen in unserer Mitte – möglich gemacht werden? Es wird nichts mehr bewahrt – es „bleibt alles anders“ - das Ritual der Zeitgenössichen Kunst möge vollzogen werden. Ist das der Zirkel des Lebens oder doch eher der Voodoo des Zombiesken?

Ein Schönes an der Raumsetzung Ohne Titel ist das hier eingeschriebene Parodox des Lebens im Licht: Nur in der absoluten Fülle ist die Reinheit erreicht, welche den wahren Neuanfang möglich macht. Als Neugeborene werden wir das weisse Licht der Welt geworfen, dann fächern wir es in den Jahren auf; und als Sterbende verdichten sich alle unserere Erfahrungen wieder zu weißem Licht.

Der Weiße Raum - Teil 3

Chris Hinze fügt seinem Raum in Weiss allerdings unter anderem zwei weisse Kanzeln, einen massiven weissen Altar mit Altarbild und weisse Kataloge am angestammten Ort der Heiligen Schrift hinzu. In ihrer Machart und Farbigkeit können sie als symbolische Leerstellen für Ideen von Religiösität interpretiert werden, die es zu füllen gilt. Der Künstler bedient sich sehr bewusst der Ikonographie des Christentums. Damit lenkt er die Denkrichtung weiter – von der architektonischen Wirkungsweise der Weissen Zelle im Kunstbetrieb der sechziger Jahre hin zu einem zeitgemäßen Aufwurf diverser Gretchenfragen an jeden einzelnen untern den Besuchern oder an ihr gemeinsames Kollektiv, und zwar direkt im Raum für aktuelle Kunst.

Was bedeutet dieser nur scheinbare neutrale Transit-Raum von Chris Hinze für die Rolle der Religion in jedem einzelnen von uns und ihre generelle Verortung in unserer Kultur? Was kann die entleerten, aber existenziellen Platzhalter der Kirche ebendso wie die Gläser des Lebens wieder mit neuem Leben füllen? Kann die Praxis im buchstäblichen White Cube – also seit der Moderne dem „ideellen Raum“ für „Kunst in Potenz“ – tatsächlich eine vitale transzendente und kollektive Verortung der grundsätzlichen spirituellen Fragestelllungen bieten? Hier ist die Tabula jedes Mal Rasa, der absolute Nullpunkt regelmäßig bereitet. Kann nun der rohe Neuanfang, die reine Genese endlos durch die wechselnen Künstler*innen – gleich Schamanen*innen in unserer Mitte – möglich gemacht werden? Es wird nichts mehr bewahrt – es „bleibt alles anders“ - das Ritual der Zeitgenössichen Kunst möge vollzogen werden. Ist das der Zirkel des Lebens oder doch eher der Voodoo des Zombiesken?

Ein Schönes an der Raumsetzung Ohne Titel ist das hier eingeschriebene Parodox des Lebens im Licht: Nur in der absoluten Fülle ist die Reinheit erreicht, welche den wahren Neuanfang möglich macht. Als Neugeborene werden wir das weisse Licht der Welt geworfen, dann fächern wir es in den Jahren auf; und als Sterbende verdichten sich alle unserere Erfahrungen wieder zu weißem Licht.

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Brian O´Doherty „In der weißen Zelle“, Merve Verlag Berlin, 1996, S.99
Herbert Grönemeyer „Bleibt alles anders“, aus Album „Bleibt alles anders“, 1998 Grönland Records
Der Weiße Raum - Teil 3
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